Du betrachtest gerade 40 Jahre SMWS (im Jahr 2023)
Fotocredit: The Scotch Malt Whisky Society
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  • Beitrag zuletzt geändert am:2. September 2024

Peter Eichhorn

Genussmensch und Reisender. In Augsburg geboren, Studium der Geschichte in Bonn und Berlin. Lebt und liebt Berlin als selbstständiger Experte für flüssige Köstlichkeiten, als Food-Journalist und Autor sowie als Moderator und Juror bei Getränke- und Bar-Wettbewerben.

Fassstarke, charaktervolle Abfüllungen aus dem Einzelfass – so lautet von Beginn an das Motto der Scotch Malt Whisky Society, kurz SMWS. Sehr schottisch, ein wenig exzentrisch, bemerkenswert sympathisch und zuweilen verwirrend kryptisch. Doch stets ausgestattet mit aufregendem Whisky für inzwischen 38.000 Mitglieder in aller Welt, der in keinem regulären Ladengeschäft zu finden ist. Davon will ich erzählen. Und auch ein wenig schwärmen zum Jubiläum, wenn es erlaubt ist. 

Wir schreiben das Jahr 1983. In den Musik-Charts und in Radio laufen die „99 Luftballons“ von Nena, „Major Tom“ von Tom Schilling oder „Moonlight Shadow“ von Mike Oldfield. Michael Jackson (der Sänger) präsentiert seinen „Thriller“, Udo Lindenberg darf im Ost-Berliner Palast der Republik auftreten und Laid Back steuert mit „Sunshine Reggae“ den Sommerhit des Jahres bei. Im Kino laufen „Flash-dance“, „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Sag niemals nie“ mit Sean Connery als James Bond. Mit dem Motorola DynaTAC 8000X wird das erste Mobiltelefon zugelassen, bleifreies Benzin und Katalysator werden eingeführt, ebenso der Bildschirmtext und der Personal Computer XT von IBM. Lech Wałęsa erhält den Friedensnobelpreis, die „New York Times“ erscheint erstmals mit einer Titelstory zu AIDS und der „Stern“ blamiert sich mit gefälschten Hitler-Tagebüchern.

Whisky-Katastrophenjahr 1983

Für die Whisky-Welt bahnt sich 1983 die große Katastrophe an. Zahlreiche Destillerien schließen ihre Pforten und so endet die Produktion beispielsweise von Banff, Brora, Glen Albyn, Glen Mhor, Glenlochy, Glenugie, Glenury Royal, Port Ellen oder St. Magdalene. 1982 gab es in Schottland noch 113 aktive Malt-Brennereien. 1983 sind es nur noch 101. Der Tiefstand wird 1985 erreicht, als nur noch ganze 81 Destillerien arbeiten. Und ausgerechnet in jenem Jahr 1983 beginnt eine kuriose Whisky-Episode, die nun ihren 40. Geburtstag zelebrieren darf.

Philipp „Pip“ Francis Logan Hills hatte kurz zuvor etwas kennengelernt, das damals bislang nicht so selbstverständlich war wie heute – fassstarken Whisky. Seinerzeit war die Brennerei Glenfarclas ein Pionier im Hinblick auf Whisky in Fassstärke. Die Marke hatte zunächst eine Abfüllung mit 60 % Alkoholvolumen herausgebracht, die als Geschenk für die Freunde und Mitarbeiter des Hauses gedacht war. Später entwickelte sich daraus der Glenfarclas 105, der noch heute zu den beliebtesten Abfüllungen der Marke zählt. Dieses kraftvolle Konzept mit starker Aromatik gefiel Pip Hills und so nutzt er die Gelegenheit und erwirbt bei Glenfarclas einen Fassanteil. Mit seinem Automobil, einem 1937er Lagonda, holt er das Fass in der Destillerie ab und transportiert es in das heimatliche Edinburgh, wo er es mit seinem Freundeskreis, der sich „The Syndicate“ nennt, im heimischen Wohnzimmer teilt. Dem Freundeskreis gefällt das Konzept und die damals ungewohnte Aromenintensität. Der Ruf nach mehr Whisky dieser Art wird laut und so wird rasch aus dem „Syndicate“ ein Unternehmen und aus Pip Hills der Gründer der Society.

Fotocredit: The Scotch Malt Whisky Society

Die neue Marke und ihre Heimat

Zur Überraschung des Anwalts akzeptieren die Behörden im Mai 1983 den Namen „The Scotch Malt Whisky Society“. Es gab zunächst Bedenken gegen einen derartigen Namen mit staatlichem Klang nach nationaler Bedeutung. Entsprechende Nachfragen konnten aber überzeugend beantwortet werden und so erfolgte der offizielle Segen. Im November 2022 ehrten „The Scottish Whisky Awards“ Pip Hills mit dem „Dr. Jim Swan-Award“. So würdigten sie seine „bahnbrechende Vision […], durch die er Enthusiasten ermöglichte, an der Verkostung einzelner Fässer Malt Whisky aus einer Vielzahl von Destillerien teilzunehmen“.

Kurze Zeit nach der Unternehmensgründung musste eine Heimat für die Scotch Malt Whisky Society her. Platz für Schreibtische, Lagermöglichkeiten für die Fässer und ein Treffpunkt für die Mitglieder erschienen notwendig und so erwarb die Gruppe das historische Gebäude „The Vaults“ in Leith, der Hafenvorstadt Edinburghs, das bis heute Heimat der SMWS und Pilgerstätte für Mitglieder aus aller Welt ist. Das Anwesen beinhaltet eines der ältesten Handelsgebäude Schottlands und verweist auf die Tradition des Seehandels zwischen Leith und der Gironde in Frankreich. Die Handelsschiffe luden schottische Kohle für Frankreich und brachten französischen Wein für Schottland zurück. In den Vaults wurde der Handel und auch Wein-Auktionen abgehalten. Das Ursprungsgebäude wurde von der Weinhändlergilde ab dem Ende des 16. Jahrhunderts genutzt. 1709 wurde das damals noch eingeschossige Gebäude von dem Weinhändler John Thomson übernommen. 1785 folgte die Errichtung von weiteren drei Geschossen über den historischen Kellern.

Fotocredit: The Scotch Malt Whisky Society

Lasst uns munter zählen

Wer die Flaschen der SMWS kennt, weiß auch um das System der Nummerierungen, gepaart mit launigen Namen und fantasievollen Verkostungsnotizen. Destillerie Nummer eins war natürlich Glenfarclas. Danach kamen weitere Nummern hinzu und verweisen auf die Destillerien in der Reihenfolge, in der sie erstmals von der SMWS abgefüllt wurden. Hinter der Zahl steht ein Punkt und dahinter folgt eine weitere Nummer, die verrät, das wievielte Fass aus der vorangestellten Destillerie hier abgefüllt wurde. Aktuell wurde gerade das erste Fass aus Destillerie 156 abgefüllt. Dazu kommen noch einige weitere Ziffernkombinationen für andere Spirituosen. So beispielsweise G für Grain Whisky, B für Bourbon, GN für Gin oder C für Cognac. Warum die Codierung? Gleich zu Beginn der SMWS galt es, Markenrechts-Ärger mit Destillerien und Konzernen zu vermeiden, und mit dem Einzelfass-Konzept lag das Nummerierungssystem auf der Hand. In seinem Buch „The Founder’s Tale“ beschreibt Hills das Verhältnis zur Whisky-Industrie in den Anfangsjahren als problematisch: „Es war nie ganz leicht, an Fässer zu kommen. Die Älteren in der Industrie beobachteten uns immer noch mit Misstrauen. Die Jüngeren begriffen, dass wir etwas taten, was eigentlich nur nützlich für die gesamte Branche sein könnte, da wir ein Bewusstsein für Whisky schufen, das erfrischend anders war als jenes, das die traditionellen Marken aufrechterhielten.“

SMWS für Deutschland?

Der Autor dieser Zeilen kam Anfang der 1990er Jahre mit den Whiskys der Society in Kontakt und wurde ein frühes Mitglied in Deutschland. Damals als Student in Bonn nutzte ich die Möglichkeit, von der Expertise von Lutz Reifferscheid und Walter Schobert zu profitieren und hing an ihren Lippen. Bereit, mich auf das nächste sensorisch-aromatische Abenteuer in Bezug auf Whisky einzulassen. Und so etwas wie die SMWS-Whiskys hatte ich noch nicht erlebt: intensive Aromen, das Spiel mit den Wassertropfen und die daraus resultierende weitere Geschmacksvielfalt und die kryptisch-exzentrische Aura jenes britischen Whisky-Zirkels. Ich war elektrisiert und begeistert.

Dabei hatte man es nicht leicht als SMWS-Mitglied in Deutschland. Die Betreuung erfolgte über ein sympathisches Team in Roosendaal in den Niederlanden. Vierteljährlich erschien eine Liste mit den aktuellen Abfüllungen per Post. Die Bestellungen, im Vor-Online-Zeitalter meist per Fax, konnten oft kaum erfüllt werden. Viele schöne Abfüllungen waren gleich von den Briten gekauft worden, und die Roosendaal-Reste waren, je nach Dauer des Postwegs, auch rasch ausverkauft. Ich selbst hielt der SMWS die Treue, insbesondere weil sich damals niemand für die Destillerie Nummer 3 zu interessieren schien. Dabei war ich ursprünglich großer Bowmore-Fan, und nachdem viele Originalabfüllungen süßer und irgendwie anders wurden, fand ich bei der SMWS doch noch jene vertraute Bowmore-Aromatik, die ich suchte.

Auch heute noch zaubert so manche SMWS-Abfüllung ein Lächeln auf meine Lippen, wenn sie einen gewissen Old-School-Charakter verströmt und Erinnerungen weckt, wie diese oder jene Marke früher geschmeckt hat. Es bleibt das große Privileg der unabhängigen Abfüller, dass ihr Whisky anders schmecken darf als die aktuellen Originalabfüllungen einer jeweiligen Destillerie.

Wachstum und Wandel

Ende der 1990er Jahre wächst insgesamt die Begeisterung für Whisky wieder. Zuvor eingemottete Destillerien feiern Neueröffnung und die Absatzzahlen steigen weltweit. Auch die SMWS wächst und so stößt das Team in Leith an seine Grenzen bei der Abwicklung der wachsenden Logistik. Das Jahr 2004 bedeutet schließlich einschneidende Veränderungen für die Scotch Malt Whisky Society. Die Glenmorangie Company, die mit der Wiedereröffnung der Ardbeg Distillery an dem neuen Boom entscheidenden Anteil hat, erwirbt die Anteile der damals rund 1.500 Eigentümer der Society für ca. 2,2 Millionen Pfund. Doch auch Glenmorangie wurde noch im Oktober des gleichen Jahres von Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH) übernommen. Somit gehört die Society nun zu diesem „Luxusgüter-Konzern“.

Selbstverständlich gab es Befürchtungen, dass durch die Übernahme der Charakter des Clubs und die Geschäftspolitik negativ beeinflusst würden. Diese stellten sich jedoch als unbegründet heraus. Die Scotch Malt Whisky Society konnte gemäß ihren Grundsätzen weiterhin sehr eigenständig agieren. Es gab sogar deutliche Vorteile, die sich durch die Übernahme ergaben, insbesondere in Hinblick auf Abfüllung, Transport, Logistik. Die neuen Betreiber waren finanzstärker, was eine höhere Zahl von Abfüllungen ermöglichte, und die zuvor knappen

Kassen der SMWS gehörten der Vergangenheit an. Mittlerweile gab es auch in Deutschland erste Partner-Bars und Verkostungen. Ich selbst lebte mittlerweile in Berlin und erfreute mich daran, dass in der Charlottenburger Whisky-Bar „Union Jack“ einige SMWS-Whiskys in den Regalen standen und manchmal eine Verkostung stattfand.

Das Jahr 2015 bedeutet dann den gewaltigen Umbruch der SMWS, der die Society bis zum heutigen Tage prägt: LVMH verkauft die Scotch Malt Whisky Society an ein Konsortium aus ungefähr 30 Personen. Viele davon sind langjährige SMWS-Mitglieder. Der Kaufbetrag wird nie bekannt gegeben. Damals verfügt die SMWS über Niederlassungen in 19 Ländern mit knapp 25.000 Mitgliedern, davon gerade einmal 500 in Deutschland. 

Neubeginn – erst holprig, dann freudvoll

Die erste Kommunikation der neuen Inhaber verlief teilweise etwas unglücklich und verärgerte manch langjährigen Partner und irritierte zunächst auch so manches Mitglied.

Die neuen Betreiber hatten aber deutlich verstanden, dass das quirlige und engagierte Whisky-Land Deutschland dringend aus dem SMWS-Dornröschenschlaf erweckt werden sollte. So suchte die neue Führung einige Whisky-Enthusiasten in den Metropolregionen, um Verkostungen mit SMWS-Whisky durchzuführen und das neue Deutschland-Engagement voranzubringen. In Berlin stieß die Society sodann auf mich, und ich hatte am 5. Oktober 2016 das Vergnügen, das erste SMWS-Tasting in der Hauptstadt abzuhalten. Das wäre beinahe mächtig schiefgegangen. Die Whiskys kamen erst am Tag der Verkostung mit Verspätung aus Schottland an und hingen in der Zollstelle fest. Ein Kurier wollte aus religiösen Gründen keinen Alkohol  transportieren und mit dem Ersatzmann kamen die herrlichen Tropfen dann in letzter Minute gerade noch rechtzeitig im bewährten „Union Jack“-Pub an.

Seither bereitet die SMWS hierzulande viel Freude. Famose und originelle Veranstaltungen werden laufend von den Society-Botschaftern ersonnen. In Berlin experimentierten wir bereits mit Whisky & Steak, Whisky und fassgereiften Bieren, Whisky & Kaviar. Whisky-Wandertage wurden ausgerufen und mit einem Ziehwagen voller Whiskys ging es auf den Kreuzberg und den Prenzlauer Berg, um die Berliner Highlands zu erkunden. Die Folgen des Brexits sind im Griff, der Versand der Flaschen läuft mittlerweile reibungslos und mit den Preisanstiegen innerhalb der schottischen Whisky-Welt wird klar, dass der Mitgliedsbeitrag eine Hilfe ist, ein preisgünstiges Direktvertriebssystem für die Mitglieder zu ermöglichen.

Artisanal Spirits Company

2021 erfolgte ein Börsengang als „Artisanal Spirits Company“ und ermöglichte die Anschaffung einer Flaschenabfüllungs-Anlage und eines weiteren Lagerhauses für die Fässer. Ein gelungenes System mit 16 Aromenprofilen von Spicy & Sweet über Deep, Rich & Dried Fruits bis zu Heavily Peated wurde eingeführt und hilft bei der Einschätzung der Abfüllungen, deren Alters-Bandbreite von jugendlich jung bis ehrwürdig alt reicht. Dazu gesellen sich mittlerweile auch herausragende Blended Malts und gerne auch der experimentelle Umgang mit Fässern. Drei bis vier Jahre Zweitreifung sind keine Seltenheit mehr. Partner-Bars und -Stores – siehe in diesem Guide – sowie zahlreiche Veranstaltungen in ganz Deutschland geben den vielen Mitgliedern in Deutschland davon einen lebhaften wie kenntnisreichen Eindruck. Somit herrscht Grund genug, den 40. Geburtstag der Scotch Malt Whisky Society 2023 ausgiebig und freudig zu feiern. 

Und das Schönste ist: An vielen Orten versammeln sich die SMWS-Mitglieder als sympathische, genussfreudige und umtriebige Gemeinschaft. Eine echte Society eben!

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