Du betrachtest gerade Die Deutschen und ihre Leidenschaft 
Ronnie Cox liebt Reisen, Menschen und reife Spirituosen. Hasst: Jet-Lag, Unaufrichtigkeit, Verrat und jungen Tequila. Fotocredit: Berry Bros. & Rudd.
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  • Beitrag zuletzt geändert am:19. August 2024

Ronnie Cox

Bereiste die Welt zunächst für DCL (heute Diageo) und verbrachte dann 30 Jahre bei Berry Bros. & Rudd, zuletzt als Brand Heritage Director. Er war maßgeblich für die Entwicklung der Marken Cutty Sark und The Glenrothes verantwortlich. 2008 wurde er Whisky Ambassador of the Year, 2014 folgte die Aufnahme in die Whisky Hall of Fame. Cox wurde zunächst Keeper, dann Master Keeper und schließlich Committee Member der Keepers of the Quaich. Liebt: Reisen, Menschen und reife Spirituosen. Hasst: Jet-Lag, Unaufrichtigkeit, Verrat und jungen Tequila.

Eine der lebhaftesten Erinnerungen an meine Arbeit in der Brennerei Glenrothes im Nordosten Schottlands ist wohl die Ankunft eines Busses aus dem 21. Jahrhundert mit Highlandern aus dem 18. Jahrhundert. Die Brennerei Glenrothes hat sicher ihren eigenen Geist – aber aus diesem klimatisierten Transportmittel strömte etwas, das wie eine Kohorte von Kriegern aus der Schlacht von Culloden aussah – der allerletzten Schlacht zwischen Schotten und Engländern, die 1746 stattfand – und deren Schlachtfeld nicht allzu weit entfernt liegt. Zu meinem Erstaunen reisten sie nur durch Schottland und sprachen eindeutig Deutsch.

Mein Vater wollte unbedingt, dass ich die Universität besuche und war frustriert über meinen Wunsch, in die Welt hinauszugehen. Er fragte mich stattdessen, was ich denn mit meinem Leben einmal anfangen wolle. Eine bohrende Frage, auf die ich nicht vorbereitet war. Ich antwortete spontan, dass ich reisen und meinen Interessen an Menschen und Alkohol nachgehen wolle. Da er mich 19 Jahre lang beobachtet hatte, kannte er meine Schwächen und Stärken recht gut und schlug mir deshalb – bei allem Verständnis für meine Naivität – ein One-Way-Ticket in die ganze Welt vor. „Wie ich dich kenne“, sagte er, „könntest du nach Tahiti gehen, und obwohl dies der schönste Ort der Welt ist, wird es ein langer Weg zurück.“

Doch warum gehört Alkohol zu meinen Interessen? Ich sollte vielleicht einschränken, dass das auch ein ungesundes Interesse sein kann, wenn man es nicht beherrscht. Die Familie meiner Mutter war seit Generationen im Scotch Whisky Geschäft tätig, zunächst mit der Herstellung von „Farm“-Whisky aus überschüssigem Getreide in Morayshire im Nordosten Schottlands. Und für mindestens eine Generation war dies gewiss eine illegale Tätigkeit, wurde aber in der Gegend als völlig normal akzeptiert. 1823 erhielt mein Vorfahre Cumming zusammen mit Mr. Smith von Glenlivet eine Lizenz zum Brennen und wurde so legal. Die Cardhu Brennerei ward gegründet und in den 1890er Jahren an Johnnie Walker verkauft. Sie ist noch immer in Betrieb.

Mein Vater war sehr darauf bedacht, dass ich mich nicht in der Welt der Spirituosen verliere und ermutigte mich dazu, mich mit der Welt des Weins zu beschäftigen. Und dass ich wenigstens ein, zwei Sprachen lerne. Im Vereinigten Königreich galt Deutschland als der führende Weißweinproduzent der Welt, und so machte ich mich voller Vorfreude auf den Weg in dieses Land. Ich ließ mich in Wiesbaden nieder, wo ich bei Henkell Trocken – einem sehr erfolgreichen Sektunternehmen – in die Lehre ging.

Nach einigen Monaten wurde mir klar, dass meine neu gewonnenen Freunde etwas Besonderes waren. Ihr Fokus, ihre Entschlossenheit, ihre Interessen und vor allem ihre Leidenschaft ließen meine allgemeine Einstellung als apathisch, altmodisch, traditionell und uninspiriert erscheinen. Erst später in diesem Jahr verstand ich, was die Deutschen wirklich über die Briten dachten. Und das wurde in dem 60er-Jahre-Sketch „Dinner for One“ wunderbar auf den Punkt gebracht, den längst jeder deutsche Haushalt seither an jedem Silvesterabend gesehen und darüber gelacht hat. Ich denke, dass 99 % der Briten diesen Sketch nicht kennen, doch die Deutschen, die einen ähnlichen Sinn für Humor haben wie die Briten, schauen ihn sich jedes Jahr wieder an. Diese schiere Lust zur Wiederholung ist bezeichnend.

Meine Wochenendausflüge mit Freunden aus der Weinbranche oder zu Speedway-Bahnen waren immer intensiv, und in diesem Alter herrschte ein ausgeprägter Wettbewerbsgeist und Lerntrieb. Es war von Anfang an klar, dass Deutschland und seine Menschen fokussiert sind.

Und ich entdeckte sehr schnell, dass Interesse, gepaart mit Hingabe und Einsatz, zu einer Leidenschaft werden kann. Vor allem muss das Interesse da sein. Nun gab es viele Themen, über die ich in Deutschland mehr wissen wollte, aber da ich in Wiesbaden lebte, hatte ich die Gelegenheit, die kulturellen Genüsse des bekannten Opernhauses und seiner Besucher zu erkunden, denn die Eintrittskarten waren schon damals furchtbar teuer, vor allem für einen Praktikanten, und so gab ich nur widerwillig eine für mich exotische Summe aus, um die vier Aufführungen von Wagners „Ring“ zu sehen. Nach dem ersten Abend fragte ich mich, ob ich die nächsten drei überleben würde oder ob mich die Götterdämmerung doch noch vermochte, in einen Nebel aus bewusstseinsverändernder, ohrenbetäubender und höllischer Musik zu entführen. Nun, ich fürchte, ich hatte einfach nicht das nötige Gespür dafür, obwohl ich viele Wagner-Fans heute kenne. Ich kehrte schneller als gedacht zu meinem geliebten David Bowie zurück.

Und dann war da noch der Wein. Morgens ging es darum, das Geschäft kennenzulernen, und abends um die Weine. An der Mosel, der Saar und natürlich am Rhein gibt es Tausende von Weinbergen, und mit einem alten Opel bewaffnet, der ein Goggomobil nur mit Mühe zu überholen wusste, versuchte ich, Informationen zu diesem Thema zu sammeln. Je mehr ich erfuhr, desto leidenschaftlicher wurde ich. Und je mehr Leidenschaft ich an den Tag legte, desto interessanter wurden meine „Lehrer“. Ich hatte viele Freunde, die diese Leidenschaft teilten, und wie wir alle wissen, erzeugt

Leidenschaft noch mehr Leidenschaft. Ich muss dazu sagen, dass einige von ihnen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Jobs Freunde von mir waren. Damals wurden aber beide Seiten des Lebens sehr getrennt voneinander gehalten. Innerhalb des Büros war das Verhältnis förmlich und spießig, und wir mussten jedem in der Abteilung die Hand schütteln, wenn wir hereinkamen und wenn wir gingen – etwas, das einen gleich davon abhielt, zu spät zu kommen oder gar früher gehen zu wollen.

Nun. Nach einem Jahr in Deutschland und einem weiteren in Spanien zog es mich in die schottische Whiskyindustrie, und mit diesen Sprachen bewaffnet, waren Lateinamerika, Deutschland und Spanien die Länder, an denen ich mir die Zähne ausbeißen durfte. Nach 13 Jahren bei der heutigen Diageo wechselte ich zu einem wunderbaren Familienunternehmen namens Berry Bros & Rudd im Herzen Londons in der St. James Street. Wir hatten die 1990er Jahre erreicht, und der Single-Malt-Sektor begann rasante Fahrt aufzunehmen.

Erst in den letzten 20 Jahren meiner beruflichen Laufbahn kehrte ich noch einmal in mein geliebtes Deutschland zurück, in das Land, das so viele glückliche Erinnerungen an meine frühe Erwachsenenzeit barg, und ich hoffe sehr, dass meine Erfahrungen es mir erlauben, das, was ich hier schreibe, auch mit einem Augenzwinkern tun zu dürfen.

Die Karte zeigt die Stadt Rothes in der Speyside. Sie ist Heimat der Whiskybrennerei Glenrothes.

Ich wechselte vom Marketing und der Vertriebsentwicklung des Blended Whiskys Cutty Sark in Lateinamerika zur Förderung eines Single Malt namens The Glenrothes. Diese Brennerei gab es seit 1879, aber wie fast alle Single Malts war sie bis in die 1960er Jahre nur Blendern bekannt, die diesen Malt nur behutsam einsetzten, um ihren Blends Tiefe und Geschmack zu verleihen. Chivas, Ballantines, Famous Grouse waren neben Cutty Sark  weitere Marken, die ihn im größeren Stil verwendeten. Aber wo soll ich anfangen? Nachforschungen ergaben, dass nicht alle Länder, in denen Scotch Whisky konsumiert wird, einen Geschmack für Single Malt entwickelt hatten, denn die meisten Länder, einschließlich der Schotten, hielten Single Malts für herb und zu uneinheitlich im Geschmack.

Also wandten wir uns den entwickelten Spirituosenmärkten zu, und interessanterweise war Deutschland eine der wenigen Ausnahmen von der Tatsache, dass eine Weinbaunationen wenig Interesse an Spirituosen hat. Als ich dort lebte, wusste ich um die leichte Verfügbarkeit von Schnaps und Kirschwasser – kräftige und nicht gealterte Spirituosen, die oft direkt vor Ort hergestellt wurden. Aber sie waren nicht allgemein beliebt. Bei den gealterten Spirituosen handelte es sich vornehmlich um einheimischen Weinbrand, aber auch um in Bars zum Mixen verwendete Whiskys bzw. Whiskeys und etwas Cognac. Aber Single Malts? Interessierte man sich wirklich für die Ergebnisse der Herstellung und Reifung einzelner Brennereien und ihre unterschiedlichen Geschmacksprofile? Den Exportzahlen nach zu urteilen, schon.

Eine Pipe Band während eines Whiskyfestivals. Fotocredit: Henryk Schmidt

Im Jahr 2000 machten Single Malts etwa 3 % der Ausfuhren von Scotch Whisky aus. Der Rest waren Blended Whiskys. Heute beträgt der Anteil von Single Malt über 10 % in einem immer noch wachsenden Markt. Und Deutschland gehörte damals schon zu den fünf größten Märkten der Welt – eine Position, die es bis heute innehat. Wir geraten in die Zeit zurück, als die Whisky-Autoren im Vereinigten Königreich auf den Plan traten, allen voran Michael Jackson mit seinem Buch „Malt Whisky Companion“. Passionierte Musikjournalisten wechselten von der Faszination der Gitarre zur Faszination des Single Malts. Erste Whisky- Magazine begannen in verschiedenen Ländern zu erscheinen, und es traten immer mehr Botschafter in Schottenröcken und mit theatralischem Auftreten auf, die in fast allen Fällen sehr leidenschaftlich waren, und verbreiteten ihre Worte – und manchmal doch nur sehr spärlichen Einsichten – an ein immer größeres Publikum. Damals gab es noch keine sozialen Medien, also waren sie die großen Beeinflusser. Marktschreier. Es geht nichts über Erfolg, um Erfolg zu erzeugen. Es dauerte nicht lange, bis Deutschland den Ruf hatte, zu den Besitzern der besten Geeks, Nerds, Maniacs, Kenner und Experten – wie immer man sie bezeichnen möchte – zu gehören. Kohorten von Deutschen strömen seither nach Schottland. Diese willkommenen Gäste sind nicht unbedingt wohlhabend, sondern einfach nur fasziniert und – wenn man in irgendeiner Weise mit Scotch Whisky zu tun hatte – faszinierend.

Es gibt diejenigen, die aus einer Art intellektuellem Snobismus heraus wirklich mehr wissen wollen als andere. Und sie schreiben alles auf. Die Anekdoten, die technischen Details, die Geschichte, die lokalen Kulturen; sie machen Fotos, werden Freunde der Brennerei-Manager und ihrer Botschafter. Einige geben Geld aus, um die Brennereiarbeiter in die örtlichen Pubs einzuladen (in Schottland immer ein leichter Deal). Einige wollen wissen, wie schnell die Umdrehungen in der Maischetrommel sind oder wie viele Metallplatten jeder Arm hat, wie viele Stollen die Stiefel des Fassbinders haben und wie sein Hund heißt. Sie kosten die noch gärende Wash und den frischen New Make mit größtem Vergnügen und sezierendem Blick – kein anderes Volk tut dies mit solch einer Hingabe. Die meisten Schotten, die in der Whisky- Industrie tätig sind, halten diese Leute für schrullige Fanatiker, aber das Marketing erkannte schnell, dass diese Leute für die Entwicklung des Single-Malt-Sektors von enormer Bedeutung sind: Sie fungieren als Botschafter. Einige der privaten Brennereien waren zwar sehr besorgt, dass diese Leute, die einen derartigen Enthusiasmus an den Tag legten, das moderne Äquivalent von Masataka Taketsuru sein könnten. Man erinnere sich: ein japanischer Student in Schottland, der sich in den 1920er Jahren vor Ort die Arbeit der sechs besten schottischen Malt-Whisky-Destillerien genau anschaute und sie dann in einer Brennerei namens Yamazaki kopierte. Nun. Für die Schotten ist der Deutsche zwar ein leidenschaftlicher Single-Malt- Enthusiast, aber keineswegs ein Industriespion, auch wenn er solche Fragen stellt.

Und dann waren da noch die Verkostungen. Ich erkannte sehr früh, dass man, wenn man Deutsche zu einer Verkostung einlädt, möglichst ein Zeitlimit setzen sollte, wann man sich zu Tisch begibt, denn selbst der Lockruf eines erstklassigen Abendessens mit schönen Weinen reicht nicht aus, um ihren Eifer zu stoppen, das ab Erscheinen der Proben ausgelöst wird. Für die Enthusiasten sind diese Tastings der Königsweg, wie sie möglichst viele verschiedene Stile einer Brennerei zu möglichst kleinem Preis probieren können. Und für die Brennereien ist es die Gelegenheit schlechthin, diese Leute von ihren Vorzügen ihrer Destillation und Reifung zu überzeugen.

Bei vielen Gelegenheiten habe ich erlebt, wie Freundschaften einfach durch das Teilen einer Probe entstanden sind, und ich denke, dass die Deutschen die wahren Erfinder des „mobilen“ Tastings sind. Oft habe ich deutsche Enthusiasten mit prall gefüllten Taschen gesehen, die einem anderen Whiskykenner bereitwillig eine Kostprobe anbieten. Das gehört einfach dazu.

Aber natürlich geht es nicht nur um den Geschmack, sondern auch um die Atmosphäre, den Spaß, den wir miteinander haben, das Lachen, die Anekdoten und das Wissen. Scotch Whisky ist ein wunderbarer Katalysator für Freundschaften, und auch wenn die Schotten niemals die gleiche Leidenschaft für ihr Nationalgetränk besitzen werden und schon gar nicht das Wissen, das ihre Gäste an den Tag legen, können sie gar nicht anders, als sich von diesem so herrlich übertriebenen Eifer anstecken zu lassen.

Sie waren und sie sind die wahren Beeinflusser.

Dann gibt es in Deutschland eine große Anzahl von Messen, die alle für den Whisky werben, aber diese Messen sind weit davon entfernt, sich nur auf Single Malt zu konzentrieren. Sie haben sich zu einem Sammelpunkt für Liebhaber von gereiften Spirituosen entwickelt – auch von deutschen, irischen, amerikanischen, japanischen Whiskys und Whiskeys aus noch ganz anderen Teilen dieser Welt. Doch zurück zu den Messen. Ich war auf vielen von ihnen in Deutschland. Und meine erste war in Berlin und hieß einfach nur „Köpenicker Whisky Herbst“. Um zwei Uhr mittags trafen die Neulinge (die Uneingeweihten) und Neugierigen ein, und es brauchte grundlegende Erklärungen. Zwischen vier und sechs Uhr folgten dann vor allem die Schwarzlederjacken, die mit ihren Chromstiften auf dem Rücken Muster bildeten und meist nur wissen wollten, warum ich keinen rauchigen Malt Whisky hatte. Und ab sechs war die Zeit der Kenner gekommen, und sie kamen in Scharen. Jetzt brauchte man gute Argumente. Oder manchmal nur ein Lächeln. Ab 20 Uhr gab es unweigerlich einige, die eine Stütze für den Heimweg benötigten. Alle waren leidenschaftliche und engagierte Anhänger. In den zwanzig Jahren, in denen ich Fach- und Verbrauchermessen für Whisky besuche, habe ich noch nie eine Schlägerei erlebt. Dafür war ich nur einmal auf einem welt-berühmten Bierfestival und wurde Zeuge gleich mehrerer!

Der Trommler eine Pipe Band. Fotocredit: Henryk Schmidt

Auf einer anderen großen Whiskymesse in der deutschen Hauptstadt entdecke ich inmitten der Schottenröcke und Tartans einen Krieger, der sein Schwert in die Scheide steckte und an der Seite ruhen ließ. Seine Kleidung und die seiner Freunde waren Bildern von historischen Gemälden oder Büchern des 18. Jahrhunderts nachempfunden. Könnten dies etwa dieselben Krieger aus Schottlands Vergangenheit sein, die einige Monate zuvor in Morayshire aus dem Bus gestiegen sind? Jenes unwirkliche Bild, mit dem ich hier begonnen habe. Sie jedenfalls, sind in der Tat das pulsierende Herz all dessen, was am Single Malt so großartig ist. Sein Ursprung. Und seine Botschaft. Und die Messen sind ein wesentlicher Bestandteil seines Körpers. Und seiner Seele. Da sind die leidenschaftlichen, eingefleischten Verrückten, die wir in Schottland alle so bewundern.