Zur Einführung in diesen Artikel: André Haberecht dürfte in der deutschen Whiskywelt kein ganz Unbekannter sein. Die einen kennen ihn von seiner Tätigkeit bei Kirsch Whisky in Syke, die anderen von seinen Verkostungs-Videos oder – womöglich noch mehr – von seinen nicht immer nur gefälligen Statements in seinem YouTube Kanal. Dafür besitzt er längst eine eigene Fangemeinde. Weniger indes weiß man von seiner Zeit in Schottland. Fast drei Jahre arbeitete er – mit kleinen Unterbrechungen aus Visa und sonstigen Gründen – bei der kleinen, äußerst schnuckeligen, jedoch allemal sehr umtriebigen Brennerei Edradour. Und darüber, so haben wir ihn gebeten, sollte er uns hier im Buch einmal ein paar mehr Einblicke geben. Und obwohl er ziemlich eingespannt war zum Zeitpunkt unserer Anfrage, ist er ihr gerne nachgekommen. Voilà!
Eine alte Farm-House Brennerei
In einer kleinen Brennerei wie Edradour ist immer nur ein Brennmeister in der Brennerei. Er ist damit für alles zuständig und verantwortlich. In einer großen Konzernbrennerei heutzutage sieht das zwar kaum anders aus. Aber dort läuft alles mehr oder weniger automatisch ab und funktioniert meist nur noch per Knopfdruck. Da Edradour eine sehr alte Brennerei im Farm-House Stil ist, wurden die Gebäude der alten Brennerei nie neu gemacht oder etwa erweitert. Heißt: In dem kleinen Edradour-Gehöft, so süß das auch immer wirkt, ist kein Platz für neue Technik aller Art. Tja, und so wird z.B. bis heute die offene Mash Tun per Hand mit der Schaufel entleert und anschließend werden die dreckigen Stiefel gesäubert, indem man nur kurz mal in den Bach steigt, der durch das Brennereigelände fließt, und der auch das Wasser für die Produktion liefert. So ist Edradour!
Klein, aber effektiv dank vieler Planung
Mein Job dort war allerdings eher der Office Part. Und dort geht es viel mehr darum, die Weichen im Voraus für alles so zu stellen, dass die Arbeit in der Brennerei problemlos stattfinden kann, auch, dass anschließend alles erfasst wird, was gemacht wurde. Dass beinhaltet an erster Stelle die Bereitstellung der Rohstoffe. Gerste muss bestellt werden und das Timing muss stimmen, denn der Platz in der kleinen Brennerei ist – wie schon erwähnt – stark begrenzt und eine verfrühte Lieferung der 1-Tonnen Säcke für Brennerei 1 hätte logistische Probleme zur Folge. Auch in Brennerei 2 wäre es nicht ohne Folgen, denn das Getreidesilo dort fasst nicht mehr als eine LKW-Ladung. Folglich muss man genau wissen, wann die jeweiligen Silos ganz leer sein werden. Auch die benötigte Hefe kann man leider nicht einfach in Massen bestellen und verbrauchen, wie es gerade passt, da die Hefe nur ca. zwei Wochen haltbar ist. Viel akribische Planung im Voraus also. Mein Job, ganz oft. Aber nie nur alleine.
Sorgenkinder Energie & Wasser
Das Wasser nimmt Edradour aus dem Edradour Burn, der abgesehen von länger andauernden Hitzeperioden ausreichend Wasser für beide Brennereien liefert. Ein schottischer Witz bringt das gut vor Augen: „I love summer in Scottland – it’s my favourite day of the year!“ Daher ist Wasserknappheit selten der Fall. Aber wenn es doch mal längere Hitzeperioden gab, wurde das Wasser aus einem Reservoir („Pond“) genommen, der genau für solche Fälle vorgesehen ist, und somit auch an vielen anderen Brennereien zu finden ist. Diese Reserve hält allerdings nur für wenige Tage vor. Danach muss man mit dem Brennen schlicht eine Pause einlegen, was auch einmal vorkam. Ein komischer Moment. Aber auch die Energieversorgung ist ein Thema, um das man sich bei abgelegeneren Brennereien wie Edradour kümmern muss. Hier kommt die Energie für die Brennblasen nämlich nicht aus irgendeiner Steckdose oder sonst einem Anschluss, sondern wird mit Generatoren durch Kerosin erzeugt, welches – im besten Falle, was noch so eine putzige Erfahrung war – regelmäßig angeliefert wird. Oder eben nicht! Auch das musste man im Office immer mit bedenken…
Fässer und sonstige Nöte
Was man ebenfalls nicht vergessen darf, sind all die Dinge, die nach der Produktion bleiben. An erster Stelle hat man den New Make, der so schnell wie möglich in seine vorbestimmten Reifebehälter will. Heißt: Wir mussten immer sicherstellen, dass ausreichend Fässer zur Verfügung stehen. Klingt selbstverständlich, besitzt aber genauso seine Tücken. Denn vor allem die Lieferung von Sherryfässern aus Spanien will gut koordiniert sein. An zweiter Stelle hat man den „Draff“, was die Getreiderückstände sind, die nach dem Maischen in der Mash Tun verbleiben. Diese Getreidereste werden meist auf einem Anhänger gesammelt und von einem benachbarten Bauern abgeholt, der es an sein Vieh verfüttert. Aber, nun gut! Der kommt allein schon aus eigenem Interesse und war insofern eher kein Problem. Doch hat man noch den so genannten „Distillery Sludge“, um den wir uns kümmern mussten. Das sind die Rückstände, die nach der Produktion übrig sind und nicht erneut gebrannt werden. Diese werden in einem Behälter gesammelt und müssen dann abgeholt werden. Auch dieser Sludge kann u.a. als Dünger benutzt werden und wird ebenfalls an Bauern in der Umgebung abgegeben. Allerdings muss das alles unter der Aufsicht der SEPA (Scottish Environmental Protection Agency) geschehen, denn es darf längst nicht mehr völlig unkontrolliert Sludge auf den Felden verteilt werden. Im Gegenteil. Es müssen regelmäßig Bodenproben entnommen werden, bei denen bestimmte Höchstwerte nicht überschritten werden dürfen. Auch das bedeutet, wie man sich denken kann, viel Aufmerksamkeit, was diese Koordination anbelangt. Und selbstverständlich kosten die Entnahmen der Bodenproben, die Überprüfungen der Werte und die Ausstellung von Zertifikaten etwas. Man bedenke dabei: Wir sind hier bei den Schotten.
Und die vermaledeite Buchhaltung für die Steuer
Was einem leider auch ganz und gar nicht erspart bleibt, ist die buchhalterische Erfassung des ganzen Geschehens. Das Finanzamt (HMRC) will selbstverständlich wissen, wie viele Liter gebrannt wurden. Die Zahlen entnimmt man den Unterlagen aus der Brennerei, in denen der ganze Destillationsdurchgang dokumentiert wird. Darin werden sämtliche Mengenangaben in Litern nach jedem einzelnen Produktionsschritt, verbrauchte Tonnen Gerste, diverse Temperaturen und andere Werte von verschiedenen Stellen der Produktion sowie vieles mehr festgehalten. Man kann die einzelnen Destillationsdurchläufe buchhalterisch jedoch nicht abschließend trennen, da bekanntermaßen Teile der letzten Destillation in die nächste übergehen und diese Werte in Menge und Alkoholgehalt immer unterschiedlich sind. Das ist durchaus „tricky“.
„Operationen“ und sonstige peinlich genaue Zahlen
Weitere Unterlagen kommen aus der „Filling Station“, dem Ort wo der New Make in die Fässer gefüllt wird. Auch hier muss peinlich genau festgehalten werden, wie viele Liter mit welchem Alkoholgehalt in welcher Fassnummer geblieben sind. Andernfalls könnte man Alkohol illegal „verschwinden lassen“ und verkaufen, was Steuerhinterziehung wäre. Gleichzeitig braucht man diese Eingangswerte, damit Jahre später bei der Abfüllung des Fasses festgestellt werden kann, wie hoch der Angel´s Share war, um den verbleibenden Alkohol genau versteuern zu können. Auch hier überprüft das HMRC die Werte des Angel´s Shares genau. Denn auch unangemeldete Entnahmen aus den Fässern wären Steuerhinterziehung. Daher muss auch jede einzelne Fassprobe dokumentiert werden, um zu hohen Angels Share ohne Leckage erklären zu können. Jede dieser Entnahmen stellt eine „Operation“ dar und hat den gleichen buchhalterischen Aufwand, als würde man das ganze Fass in Flaschen abfüllen. Ahnt man, was das oft bedeutete, wenn man auch – wie bei Edradour – ein Independent Bottler ist.
In Schottland ticken die Uhren anders
Das alles zu koordinieren, ist vor allem in einer kleinen Brennerei keine einfache Aufgabe. Schleichen sich Unregelmäßigkeiten ein, wird abrupt der ganze Prozess gestoppt und verschoben. Kurzum: krankheitsbedingte Ausfälle, Urlaub und Feiertage, Wasserknappheit, die Silent Seasons (Sommer- und Winterpausen), aber auch Unterbrechungen wegen Defekt oder Wartung bringen daher alles durcheinander. Man kann beispielsweise die Fermentation nicht wegen einem Feiertag komplett umstellen. Bei Edradour hat man z.B. zwei Fermentationszeiten. Einmal ca. 50 Stunden von Dienstag bis Donnerstag und einmal ca. 120 Stunden von Donnerstag bis Dienstag. Den längeren Zeitraum kann man durchaus mal verkürzen, den kurzen indes nicht. Folglich muss das Timing in so einem Fall komplett neu durchdacht werden, die Lieferungen der Rohstoffe verändern sich, die Abholungen vom Draff und Sludge ändern sich, und so weiter. Da die Uhren in Schottland jedoch bekanntlich etwas anders ticken, sind von außen kommende Unregelmäßigkeiten leider alles andere als eine Seltenheit. Langweilig wird es auf jeden Fall nie…
Bottling Hall, Labelings und vieles mehr
Nicht zuletzt aber müssen auch sämtliche Dinge, die die Bottling Hall betreffen, erledigt werden. Das sind vor allem die sogenannten Dry-Goods, also die Korken, die Kapseln, die Papp- und Metalltuben aller Flaschentypen von Edradour und Signatory Vintage. Da Platz durchgehend ein Thema war, konnte man auch hier nicht einfach einen Jahresvorrat bestellen. Neue Projekte wie die Edradour Small Batch Serie, die Edradour 25 und 30 Jahre Abfüllungen, Signatory Small Batch (die es zuvor nur in Deutschland gab), die neue Signatory 100 Proof Serie („Standard“ und „Exceptional“), die Symington’s Choice Serie und viele weitere Dinge wurden nebenbei konzipiert und vermarktet. Dadurch, dass vor allem die Abfüllungen von Signatory immer nur aus einem oder wenigen Fässern bestehen, fällt auch hier ein Haufen Arbeit an, was allein das Erstellen der Labels betrifft. Durch den Bestand der Dry-Goods und der Termine für die verschiedenen Abfüllungen hat sich der Produktionsplan fast von selbst geschrieben, doch gerade die Termine für Containerabholungen etc. haben uns teilweise das Leben ganz schön schwer gemacht. Versicherungen, Wartungen, Hygiene-Auflagen, der ganz normale Verkaufsbereich inkl. Logistik und der dafür benötigten Transport- und Zollpapiere usw. kommen dann noch on top. Der Austausch mit anderen Brennereien und Konzernen fällt ebenso an, da durchgehend Fässer aus anderen Lagerhäusern – verteilt über ganz Schottland – abgeholt wurden. Wohlgemerkt! Das alles haben wir bei Edradour mit nur zwei Angestellten im Büro bewerkstelligt.
Dennoch: Es gibt kaum einen besseren Ort für einen Whisky-Fanatiker
Rückblickend kann ich sagen, es war ab und an schon ein wilder Ritt. Für mich persönlich ist damit trotzdem ein Traum in Erfüllung gegangen, den ich eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Für einen Whisky-Fanatiker gibt es aus meiner Sicht auch kaum einen besseren Ort, um die Industrie so gut kennenzulernen – wie eben bei Edradour. Erstens, weil man sich in einer wirklich alten und authentischen Brennerei befindet, in der sowohl rauchig als auch nicht-rauchig produziert wird – und man alle nur denkbaren Fasstypen im Lagerhaus hat. Das ist bei den meisten Brennereien nicht so der Fall. Zweitens hat man die Fässer nahezu aller anderen Brennereien von Signatory Vintage am selben Ort liegen. Ich denke, ich muss an dieser Stelle niemandem vorschwärmen, was dort für Schätze lagern. An dritter und letzter Stelle ist es der umfassende Einblick, den man wohl nur in diesem Unternehmen in diesem Ausmaß bekommen kann. Bei den meisten, wenn nicht bei allen anderen Brennereien, wäre man nur im Verkauf, nur im Einkauf oder nur im Marketing, etc. – würde aber nie den gesamten Einblick in alle Bereiche erhalten.
Mein persönliches Fazit
Ich möchte die Zeit auf keinen Fall missen, denn dafür bin ich zu sehr „Freak“ was das Thema angeht. Von einer lebenden Whisky-Legende wie Andrew Symington über Fässer, Fassreifung und alle sonstigen Dinge zu lernen, war und ist ein Privileg und absolutes Highlight. Die Abläufe in der Branche mit Fasslieferanten, Label-Druckereien, Maltings, usw. mitzukriegen, sind für viele vor Ort wohl eher normales Tagesgeschehen, für mich aber war es immer auch etwas mehr. Ich schnupperte ständig an einer besonderen Welt. Zusätzlich die Chance zu haben, ein paar Mal bei dem Keepers of the Quaich Event auf Blair Athol dabei zu sein, gehört vermutlich auch zu den Erlebnissen, die den meisten von uns verwehrt bleiben. Nicht zu vergessen all die Menschen, die ich kennenlernen durfte: Lebende Legenden der Branche, Importeure von überall auf der Welt, aber auch die vielen Kontakte jeden Tag vor Ort. Dabei gewesen zu sein, wie neue Abfüllungen oder ganze Serien entstehen, und an ihnen mitzuwirken, ist mehr als aufregend. Für mein zukünftiges Arbeitsleben empfinde ich diese Erfahrungen und Eindrücke von unermesslichem Wert. Ich kann sie bei meinen erneuten Arbeitgeber Kirsch Import einbringen, es ist mir aber auch möglich, dies nun über meinen YouTube Kanal immer wieder an andere Interessierte weiterzugeben. Ganz zu schweigen vom Marketing für andere Brennereien und Abfüller. Denn mit diesen „Nerd-Facts“ wird das sonst gern simple gestrickte Werben für sie zu informativen Inhalten, die wirklich interessieren und die man sich gleichzeitig gerne anhört. Denn Whisky, so finde ich immer wieder, will vor allem erzählt werden.